Ein gerader Rücken setzt ein korrekt stehendes Becken voraus. Ähnlich wie ein Haus auf einem stabilen Fundament ruht, ist ein stabiles Becken wichtig für die feste Verankerung des Rumpfes. Beinlängendifferenzen stören dieses empfindliche Gleichgewicht.
Schmerzen im Rücken gehören zu den häufigsten Beschwerden im Alltag. Oft liegt ihre Ursache in der Wirbelsäule selbst oder in den stabilisierenden Muskelgruppen. Unsere 24 Wirbel im Hals-, Brust- und Lendenbereich sind wie Bauklötzchen übereinander gestapelt. Kleine Gelenke stabilisieren die Wirbel gegeneinander und schränken ihre Beweglichkeit ein. Muskelstränge ziehen die Wirbelsäule entlang. Ähnlich wie der Mast eines Segelschiffes durch stabile Seilzüge, halten auch die Muskelgruppen unsere Wirbelsäule im Lot. Im Bereich des Beckens geht die Wirbelsäule in einen zapfenförmigen Knochen, das Kreuzbein, über. Dieses wiederum sitzt in der Beckenschaufel verankert und kann nur eine leichte Wippbewegung machen.
Schaut man von hinten auf den Rücken, so sollte dieser symmetrisch stehen. Nur wenn das Becken in der Sicht von hinten gerade steht, steht auch das Kreuzbein in einer horizontalen Position. Da die Lendenwirbelsäule wie auf einem Fundament darauf ruht, wird klar, wie wichtig die Beckenregion für die ganze Körperhaltung ist. Kippen die Hüftknochen beispielsweise nach rechts, weil das rechte Bein etwas kürzer gewachsen ist, so muss sich die Wirbelsäule in einem weiten Bogen nach links krümmen, damit der Kopf gerade steht. Auf diese Weise entstehen so genannte Skoliosen, Seitverkrümmungen der Wirbelsäule. Die Folgen können drastisch sein: verbiegen sich die einzelnen Wirbel gegeneinander, so verkanten sich die kleinen Gelenke zwischen den knöchernen Wirbelfortsätzen. Dadurch wird die Wirbelsäule nicht nur schlechter beweglich, es können auch schmerzhafte Entzündungen entstehen oder Nerventeile, die zwischen den Wirbeln aus dem Rückenmark heraustreten, gequetscht werden.
Besonders verzwickt ist die Situation im Beckenbereich. Die beiden Gelenke, mit denen das Kreuzbein im Beckenring verankert ist, das so genannten ISG, haben eine komplizierte dreidimensionale Struktur. Kippt das Becken zur Seite, so können sich diese Gelenke verkanten und stören nachhaltig die Beweglichkeit im Beckenbereich. Da die Beckenknochen gleichzeitig auf einer Seite nach vorne unten kippen, wird auch ein weiteres Gelenk gestört. Verdrehungen der Beckenknochen blockieren dieses Gelenk und können zu Schmerzen führen.
In solchen Fällen wird der Arzt oder Therapeut eine Art „Fundamentsanierung“ durchführen, also versuchen, die Position des Beckens wieder zu normalisieren. Dabei hat sich die Einstellung der Orthopädie in den letzten Jahren grundlegend geändert. Betrachtete man den Menschen noch vor wenigen Jahrzehnten eher als mechanischen Apparat, haben mittlerweile viele Erkenntnisse aus der Neurologie Einzug in die orthopädische Sichtweise gehalten. Die Unterschiede sind offensichtlich: sieht man den Menschen rein unter anatomischen Gesichtspunkten, dann muss auch rein mechanisch therapiert werden. Ist beispielsweise das rechte Bein um einen Zentimeter verkürzt, so müsste die rechte Schuhsohle auch um genau einen Zentimeter erhöht werden, um das kürzere Bein auszugleichen. Mittlerweile weiß man, dass dies leider nicht so einfach ist. Durch die vielen zwischen den Wirbel aufgespannten Muskeln kann das Gehirn die Stellung der Wirbelsäule sehr genau regeln. Indem das „Zentralnervensystem“ die Aktivität einzelner Muskelgruppen verstärkt oder abschwächt, wird die Verbiegung der Wirbelsäule fast stufenlos geregelt. Damit das Gehirn weiß, in welcher Position die Wirbelsäule gerade steht, liefern unzählige Sinneszellen in den Wirbelgelenken und in den Muskeln ständig Informationen über die Ausrichtung der einzelnen Wirbel zueinander. Dies ist der Grund, warum wir auch bei geschlossenen Augen sehr gut erspüren können, wie unser Körper gerade steht.
Ist ein Mensch nun mit einer Becken- und folglich auch Wirbelsäulenschiefstellung groß geworden, so hat sich das Nervensystem an die fehlerhaften Signale gewöhnt. Dem entsprechend wird ein Arzt auch sehr vorsichtig sein, einen Beckenschiefstand, der erst im Erwachsenenalter Beschwerden verursacht, nur nach mechanischen Gesichtspunkten auszugleichen. Zu groß ist die Gefahr, die Wirbelsäule aus ihrem labilen Gleichgewicht zu bringen.
Beinlängendifferenzen und Sport
Auch wenn ein Sportler frei von Beschwerden ist, kann es sinnvoll sein, die Statik seines Körpers zu untersuchen. Die biomechanischen Abteilungen der Olympiastützpunkte wissen schon lange um den Einfluss körpereigener Hebelverhältnisse auf das Leistungsvermögen. Unterschiedlich lange Beine, die zu Schiefstellungen des Beckens führen, beeinflussen natürlich zwangsweise die Wirkungsweise der Muskulatur. Am Beispiel der Abduktor-Muskeln, die das Bein im Hüftgelenk nach außen ziehen, kann man sich dies leicht klar machen. Stellen Sie sich ein kurzes Brett vor, das waagerecht auf zwei aufrecht stehenden Stäben lagert und beiderseits etwas übersteht. Die Stäbe stellen die beiden Beine dar; das Brett ist ein vereinfachtes Modell für das Becken. Von den überstehenden Enden des Brettes spannen wir jeweils ein Gummiband zum darunter stehenden Stab – dies sind die Abduktoren. Kürzen wir jetzt den rechten Stab, so kippt das Brett auch in diese Richtung. Im selben Moment spannt sich das linke Gummiband, das rechte lockert sich. Genau diese Situation findet sich bei der Beinmuskulatur: auf der Seite des längeren Beins wird die abspreizende Muskulatur überdehnt; auf der verkürzten Seite wird der Körper die Muskellänge reduzieren, indem er die Struktur des Muskels umbaut. Dieser Muskel ist dann etwas verkürzt und die Gelenkbeweglichkeit eingeschränkt.
Optimal für den Sport sind jedoch frei bewegliche Gelenke, die die Bewegung nicht behindern. Im Bereich der Wirbelsäule ist dies ungleich komplizierter: hat sie sich aufgrund eines Beckenschiefstandes verkrümmt, so ist ihre Beweglichkeit in einzelnen Teilen eingeschränkt. Gerade im Beckenbereich finden sich komplizierte Gelenkstrukturen, die durch eine Beinlängendifferenz leicht verkanten. Solche „Gelenkblockaden“ verursachen nicht immer Schmerzen. Sie stören aber unbewusst Bewegungsabläufe und können dadurch sportliche Höchstleistungen verhindern.
GESUNDHEIT IST NICHT ALLES ABER OHNE GESUNDHEIT IST ALLES NICHT`S